Erhebende Epik
Wenn eine Pagan Metal-Gruppe entweder vollkommen vergöttert oder
mit gar infamer Hetze verteufelt wird, ja, dann müssen die darin
beteiligten Musikantenkerle zweifellos schon gestandene Charaktere
sein, um ihr Werk dauerhaft edel gestalten zu können. Auf Menhir
treffen alle drei genannten Punkte eindeutig zu – musikalische
Extraklasse, medialer Boykott und standhafte Gemütsverfassungen in
der gesamten Kapellenbesetzung. So riefen diese beseelten
Überzeugungstäter mit ihren genialen erhabenen
Schwermetallhymnen über die Jahre aber eben nicht nur treue
Verehrer auf den Plan, sondern auch spitzzüngige Lästerer,
erbärmliche Neider und freilich auch nicht wenige Denunzianten.
Davon ziemlich unbeeindruckt, legte der erzheidnische ostdeutsche
Erfolgstrupp um den charismatischen vollbärtigen Frontbarden Heiko
Gerull jüngst eine weitere kreative Großtat vor – den
neuen Studiolangspieler „Hildebrandslied“. Bot bereits der
2001er Albumvorgänger „Ziuwari“ packend ekstatisches
Gänsehautmaterial der massiv aufwühlenden Sorte, so
verfeinerten diese tapferen Klangkrieger ihre hochheroische
Epik-Stilistik für das aktuelle Manifest sogar noch einmal um ein
Vielfaches. Seine geliebte Bassgitarre hat fünf stählerne
Saiten – künstlerische als auch menschliche Seiten hingegen,
von seiner aufrechten Thüringer Heidenhorde, breitete Menhir-Mann
Fritze sehr gerne vor mir aus.
„Grüß dich Markus! Wie Du wissen wirst,
arbeiten einige von uns bei der Reenactment-Gruppe [möglichst
authentische Nachstellung historischer Begebenheiten; A.d.A.] Ulfhednar
mit – Details gibt es auf der Weltnetzseite www.ulfhednar.org zu
erfahren. Wir stellen also Geschichte – in unserem Falle
über verschiedene Epochen hinweg – authentisch mit Kleidung,
Waffen und Geräten dar. Unsere Arbeit beginnt mit der
Rekonstruktion archäologischer Funde, die wir später auf
Museumsveranstaltungen, sowie in Film und Fernsehen der
Öffentlichkeit vorstellen. Die genannten Rekonstruktionen
erfordern eine Unmenge an Zeit. Alles wird nach alter Handwerkskunst
hergestellt. Oft wird Halbfertiges verworfen und muss nachgebessert
werden. Ulfhednar beteiligte sich in den zurückliegenden sechs
Jahren an diversen Fernsehproduktionen verschiedener Sender und trat
bei Ausstellungseröffnungen von Museen auf. Außerdem wurden
andere Aktionen im In- und Ausland unterstützt oder gestaltet. Im
Weiteren planen wir ein Projekt namens Gervina. Dabei wird ein
frühmittelalterlicher Königshof der Merowinger-Zeit in
Thüringen aufgebaut – Näheres dazu ist auf
www.gervina-ev.de zu erfahren. Das alles zum Laufen zu bringen –
samt Behörden, Beantragungen, Gutachten – ist sehr arbeits-
und damit zeitintensiv. Unser Anspruch an unsere Musik war uns, neben
dem oben Gesagten, ein weiterer Hinderungsgrund schnell wieder ein
neues Album nach „Ziuwari“ vorzulegen. So wurden
beispielsweise bereits aufgenommene Gitarrenspuren wieder
gelöscht, das Material überarbeitet und erneut aufgenommen.
Dem Vorhaben, das Hildebrandslied in der alten Sprache vorzutragen,
gingen unzählige Studien voraus, Gespräche mit Fachleuten
waren auszuwerten usw. Mit diesen ganzen Aktivitäten sind schnell
mal sechs Jahre vorbei“, bezieht Fritze zu Gesprächsanfang
erst mal aktiv Posten zur langen Veröffentlichungspause von Menhir.
Der langhaarige Recke legt bekräftigend nach:
„Unsere Ziele sind seit damals stets die Gleichen geblieben. Wir
behandeln antike mitteleuropäische Geschichte, insbesondere die
der frühen Thüringer. Außerdem haben wir mit den Jahren
einen Stil entwickelt, der keinem anderen ähnelt. Musikalisch
wachsen wir ganz natürlich mit neuen Einflüssen und
Begebenheiten, die um uns herum geschehen. Die Stimmung in der Band ist
klasse und wir haben einen talentierten, neuen Schlagzeuger gefunden
– der allerdings noch in „Probezeit“ ist. Also, alles
bestens und vollkommen in Ordnung bei uns.“
Mit der Entwicklung des Menhir-Werdegangs als Musikgruppe über die
Jahre bis heute ist der gute Fritze zufrieden, wie er bekundet:
„Ich denke doch, dass wir zufrieden sein können mit dem, was
wir bis jetzt herausgebracht haben. Um uns herum passiert zwar sehr
viel, aber es ist doch letztlich der eigene Weg, den man beschreiten
muss.“
Erst sollte die Liedersammlung „Hildebrandslied“ bei einem
anderen Tonträgerverlag erscheinen, dann kam bekanntlich kurz vor
der Veröffentlichung eine überraschend geartete Wende. Der
Bassist berichtet hierzu aufklärend: „Perverted Taste
Records sind nach wie vor gute Bekannte, die unsere alten Alben
verkaufen. Unser neues Label Trollzorn kennen zu lernen war mehr oder
weniger Zufall. Heiko begegnete dem Inhaber von Trollzorn im Proberaum
von Gernotshagen. In Gesprächen bemerkten die beiden rasch, dass
gemeinsame Interessen, wie beispielsweise das frühe Mittelalter,
bestehen. Daraus entwickelte sich dann im Laufe der Zeit die
spätere gemeinsame Zusammenarbeit.“
Anschließend drehte sich unser anregender Gesprächskontext
um die auf dem neuen Musikwerk „Hildebrandslied“ teils
markante stilistische Modifikation in Richtung ruhigere Passagen in den
Liedern. „Beim ersten und zweiten Teil des Hildebrandsliedes
ließ es die Begebenheit dieses altehrwürdigen Textes einfach
überhaupt nicht anders zu, als es in Form einer Ballade zu
komponieren. Man muss sich ja nur einmal in die beschriebene Situation
versetzen. Die anderen Lieder heben sich meiner Meinung nach nicht
großartig von unserem Stil ab und die nächste Platte kann
sich schon wieder ganz anders anhören“, so der sympathische
Tieftoner, mich gleichzeitig neugierig machend.
Wir sprachen über die markantesten Unterschiede, wenn man das
aktuelle Album mit den vorherigen Liedern von „Ziuwari“
vergleicht. Fritze expliziert hierzu: „Ich bin der Meinung, dass
„Hildebrandslied“ genauso viel Seele hat wie
„Ziuwari“. Eventuell sind wir ein bisschen epischer und
ruhiger geworden. Aber wie schon gerade zuvor erwähnt, kann das
nächste Menhir-Album schon wieder ganz anders ausfallen.
Außerdem denke ich, dass sich ein Album immer nach der jeweiligen
Stimmung und den Gefühlen, die gerade ins uns anwesend sind,
entwickelt.“
Was sich die Männer von Menhir privat so
anhören, interessierte mich im Weiteren. Fritze stand Rede und
Antwort: „Von Person zu Person ist das bei uns natürlich
unterschiedlich. Im Großen und Ganzen geht es aber in die
Richtungen Metal, Folk und Rock. Ich persönlich höre zurzeit
öfters mal TYR „Ragnarök”, Heaven Shall Burn
„Deaf To Our Prayers”, Iron Maiden
„Powerslave”, Lake Of Tears „Forever Autumn”
und so weiter und so fort.” In der Tat, „Forever
Autumn“ ist auch dem Autor dieser Zeilen sehr ans Herz gewachsen,
denn es ist ein wahrlich fantastisches Dark Metal-Album mit traumhaft
schönen Melodiken.
Fritze und ich schwenkten nachfolgend in vollem
Redefluss über zu zugrunde liegenden Antriebsfaktoren, welche
primär verantwortlich sind für solcherlei ergiebiges
kreatives Treiben. Der Bassist konkretisiert das Ganze: „Unser
größter ideeller Antrieb ist die Liebe zur Natur und zur
Geschichte. Auch sprechen wir gezielt das heutige Weltbild an,
beispielsweise mit dem Lied „Weit in der Ferne“, und wir
künden von den heutigen Mitläuferwesen, die man sooft auf den
Strassen sowie in den modernen Medien usw. sieht. Wir versuchen damit
auf unsere Weise medial erzeugten Druck, dem Werteverfall der Menschen
und der systematischen Ausrottung der Natur entgegenzuwirken.“
So spricht nur ein innerlich ausgeglichener Mensch, daher braucht der
Bassgitarrist laut eigener Aussage auch keine harten Drogen – ein
paar Bier und seine Leute reichen ihm normalerweise aus, um ein gutes
Fest zu feiern, wie Fritze mir verkündet. „Außerdem
ist jeder Mann seines Glückes eigener Schmied und jeder sollte
wissen, zu was für Auswirkungen und Schäden Drogen bei einem
selbst führen können. Andere bei Menhir sind noch viel
radikaler als ich – Heiko beispielsweise verachtet die
„modernen“ Drogen aufs Tiefste.“
Dann war es für uns zwei Denker an der Zeit, zum Themenkomplex
Naturzerstörung und global immer gravierender einhergehende
Entmenschung beziehungsweise Verdummung überzuschwenken. Mein
Gesprächspartner erweist sich als fähiger Analytiker:
„Menschen strebten leider schon immer nach Macht und Reichtum
über andere und tun es immer noch. Es war und ist nicht
aufzuhalten, weil die Menschheit von Korruption, Lügen und Verrat
nur so strotzt. Der Großteil der Medien tut sein bestes, um die
Leute zu unterhalten und mental zu verdummen. Der Mensch wird dazu
gebracht wegzugucken, seine eigenen Ideen und Ideale zu vergessen und
noch schlimmer, sein eigenes Hirn abzuschalten. Glücklicherweise
sind nicht alle so. Viele setzen sich aktiv für unsere Umwelt ein,
halten die Kultur hoch oder streben nach einem höhern Bewusstsein
– um nur mal Einiges zu nennen. Dies ist das berühmte
„über den Tellerrand gucken“, oder das so genannte
Freidenken. Man kann – wie du schon gesagt hast – nur
versuchen, für sich entgegenzuwirken. Wie, das sollte eigentlich
jeder selbst wissen!“
Bevor die beständige Machtmöglichkeit namens Christentum der
gesamten Menschheit, überwiegend mit listig vollstrecktem Zwang
und äußerster Brutalität global aufgebürdet wurde,
beteten die Naturvölker ihre Umgebungen ehrfürchtig an. Frei
nach dem Motto „Macht euch die Erde untertan“ nahm die
weltweite sinnlose Naturzerstörung und profitable
Tiermörderei jedoch danach immer fatalere Ausformungen an. Ich
stellte dem Bassisten daher die berechtigte Frage, wie das alles seiner
Meinung nach irgendwann enden wird. Er wird emotional: „In einem
völligen Kreislaufkollaps der Natur. Die ersten Ausläufer
sieht man ja jetzt schon. Früher wussten es die Menschen
wahrscheinlich nicht besser und rodeten beispielsweise viel zu viele
Wälder, ohne zu wissen, was sie sich und der Natur damit antun.
Heute sind wir uns dessen sehr viel mehr bewusst, ordnen aber unsere
Bedenken nur allzu oft den wirtschaftlichen Interessen unter. Es kann
nur im Chaos enden“, gibt mir Fritze merklich nachdenklich
gestimmt zu Protokoll.
Wie jeder andere auch, hat auch der Mensch Fritze schon
mehrmals im Leben so einige seelische Tiefen gehabt. „Ich gehe
dann gern allein in die Natur, oder rede mit Freunden und der Familie.
Eventuell versuche ich mich abzulenken oder offensiv mit dem Thema
umzugehen. Aber normalerweise bin ich ziemlich optimistisch veranlagt
und bekomme das Ganze schnell wieder in den Griff.“ So soll es
sein.
Auf seine Zukunft freut sich der Viersaitenspieler aus der
geäußerten Hoffnung heraus, dass die Menschheit nicht so
dumm ist, wie sie sich darstellt. „Und auch daraus, dass es die
Wissenden schaffen werden an der Verbesserung der Zustände
mitzuwirken.“
Menhir kennen natürlich ziemlich viele Leute und Bands, zu denen
sie gute und auch freundschaftliche Kontakte pflegen, so Fritze.
„Beispielsweise zu Odroerir, Gernotshagen, usw. Zur Szene an sich
haben wir außerhalb unserer persönlichen Bekanntschaften
keine allzu große Frequenz. Pagan Metal ist ja mittlerweile eine
ziemliche Erfolgsgeschichte und zieht dementsprechend viele Nachahmer
an. Einige von diesen Leuten schaffen es, irgendwann ihre eigenen
Visionen umzusetzen und andere bleiben auf dem Nachahmerstatus mangels
Ideen und Talent hängen. Pagan Metal ist einfach nur eine
stilistische Entwicklung in unserer Subkultur namens Metal und ganz
sicher wird es nicht den kommerziellen Zenit von beispielsweise NWOBHM
haben. Das Ganze kann von mir aber auch eine einfache Mutmaßung
sein. Diese Musikrichtung namens Pagan Metal ist, so denke ich, auch
nur für einen bestimmten Teil der Leute gedacht. Es ist doch auch
ganz klar, dass neue spannende Konzepte Neugier erschaffen. Mit der
Zeit wird sich dann herauskristallisieren, wer wirkliches Interesse hat
oder wer einfach nur eine Mode mitmachen will. Ich würde das Ganze
nicht gleich so pauschalisierend verurteilen, denn jede Szene braucht
Nachwuchs und frische Ideen, um nicht zu veralten.“ Man muss ihm
in diesem Punkt Recht geben.
Ich haute den erzählfreudigen Bassgitarristen dann auch mal auf
die teils wirklich lachhafte Kindergarten-Feier namens MySpace an.
Dieser legt dar: „Diese öffentliche Plattform finde ich gar
nicht so schlecht, weil es vielen Leuten die Möglichkeit bietet,
sich vorzustellen. Außerdem kann man für sich auch sehr viel
Neues entdecken. Natürlich ist es auch eine Schaubühne
für narzisstische Selbstdarsteller – aber was man gut findet
und was nicht, bleibt ja jedem selbst überlassen.“
Wir redeten über den Begriff „Erfolg“. Menhir selbst
wollen sich hauptsächlich einfach nur künstlerisch
verwirklichen, so mein Gegenüber. „Und solange sich Leute
davon angesprochen fühlen, kann man das schon Erfolg nennen.“
Der aktuelle lyrische Kontext sowie die grafische Gestaltung der neuen
Menhir-Veröffentlichung „Hildebrandslied“ zeugen
erneut von explizit ausgeprägter Historien- und Naturverbundenheit
der Beteiligten. Fritze informiert mich hierüber: „In erster
Linie verfolgen wir eine umfassende Ästhetik, deren Bestandteile
miteinander harmonieren. Die Texte schreiben sich frei von der Seele
weg. Man kann sie auch heute noch auf diverse Situationen anwenden,
aber eine genaue Deutungshoheit will ich mir nicht anmaßen, da
ich nicht der Verfasser bin.“
Demnächst werden die wackeren Thüringer Streiter für ein
paar Konzerte ins ferne Russland aufbrechen. Aufgemerkt: „Eine
Frühjahrstour von Menhir mit Trimonium ist für 2008 in
Planung und es kommen noch diverse andere Konzerte dazu. Die
vergangenen Auftritte liefen trotz Schlagzeugerwechsel recht gut
für uns“, freut sich Fritze.
Doch nicht nur mit den Taten Menhir´s, sondern auch mit Ulfhednar
wird es glücklicherweise frisch und munter weitergehen – wie
der Tieftoner mir abschließend noch kundtut. „Wir versuchen
weiterhin, mit Museen und TV-Dokumentationsreihen zu arbeiten und uns
zu etablieren. Neue Projekte sind natürlich auch in Planung und
alles weitere dazu findet ihr auf unserer Internetseite. Und: Achtet
die Natur, sie ist euer bester Freund!“ Weise Worte.
© Markus Eck
(06.11.2007)
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